Arbeitsmarkt statt Werkstatt: Warum der Wechsel für Behinderte oft nicht klappt
Rund 310.000 Menschen mit Behinderung arbeiten in Werkstätten. Gut ein Drittel von ihnen könnte aber genauso gut auf dem regulären Arbeitsmarkt tätig werden. Doch die Hürden sind so hoch, dass der Wechsel oft nicht klappt.
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Werkstätten mit Brückenfunktion
Fünf Jahre lang hat Daniel in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung gearbeitet. Sein Weg bis dorthin war nicht einfach. Wegen einer psychischen Einschränkung wurde er regelmäßig als dumm dargestellt.
Nach dem Besuch der Förderschule und einer gescheiterten Ausbildung als Beikoch kam er schließlich in eine Tagesstätte für Behinderte. Dort erledigte er einfachste Aufgaben und verdiente etwas Geld.
Obwohl er sich in der Werkstatt wohlfühlte, stellte er irgendwann für sich fest, dass diese Arbeit nicht mehr das Richtige für ihn war.
Das System der Werkstätten gibt es in Deutschland seit Ende der 1950er-Jahre. Ihr Auftrag besteht zunächst einmal darin, Menschen mit Behinderung einen sogenannten geschützten Rahmen zum Arbeiten zu bieten. Etwa 310.000 Menschen sind kontinuierlich in solchen Werkstätten beschäftigt.
Die Grundidee ist eigentlich, dass die Werkstätten als eine Art Brücke funktionieren und die Beschäftigten dabei unterstützen, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
Doch genau das klappt in weniger als einem Prozent der Fälle. Dabei schätzen Experten, dass mindestens ein Drittel der Leute aus den Werkstätten in den allgemeinen Arbeitsmarkt eintreten könnte. Nur bräuchte es dafür eine entsprechende Unterstützung.
Unerfüllte Behindertenquoten
Die Werkstätten können oft die notwendige Hilfe bei der Arbeitsvermittlung nicht leisten. Im Hilfeplan steht zwar oft, dass die Werkstatt den Beschäftigten dabei unterstützt, sich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu bewerben, ihn zu Ämtern begleitet oder ihm dabei hilft, Anträge auszufüllen.
Tatsächlich müssen sich die Menschen aber oft selbst um alles kümmern und die einzelnen Schritte alleine organisieren.
Es wäre wichtig, dass Menschen mit Behinderung aktiv aus der Werkstatt heraus vermittelt und der Schritt ins Berufsleben besser begleitet werden. Dass es daran in der Praxis oft hapert, liegt aber weniger am nicht vorhandenen Willen, sondern an den fehlenden Kapazitäten.
Hinzu kommt, dass die Betriebe offener für Mitarbeiter mit Behinderung werden müssten.
Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2009 hat sich Deutschland zwar dazu verpflichtet, Menschen mit Behinderung die gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt einzuräumen.
Dazu gehört zum Beispiel, dass Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten fünf Prozent der Arbeitsplätze mit Menschen mit Behinderung besetzen müssen.
Doch diese Quote erfüllen nicht einmal 40 Prozent der Unternehmen, die dazu verpflichtet wären, vollständig. Und über 25 Prozent der verpflichteten Unternehmen beschäftigen gar keine Behinderten, sondern leisten lieber eine Ausgleichszahlung.
Auf einem Arbeitsmarkt, auf dem händeringend Arbeits- und Fachkräfte gesucht werden, ist das schwer zu verstehen. Zumal es auch unter den Menschen, die in Behindertenwerkstätten arbeiten, etliche gut ausgebildete Fachkräfte gibt.
Außerdem bestätigen die Unternehmen, die Menschen mit Behinderung beschäftigen, dass es in der Praxis unterm Strich keine nennenswerten Leistungsunterschiede oder häufigeren Ausfallzeiten gibt.
Zu hohe Hürden
Für viele Personen mit Behinderung ist die Werkstatt die einzige Möglichkeit, überhaupt einer Arbeit nachzugehen. Und im Laufe der Zeit stellt sich ein Gewohnheitseffekt ein.
Je länger jemand in der Werkstatt tätig ist, desto stärker ist er mit dem Umfeld verwurzelt und desto weniger will er weg. Sinnvoll wäre deshalb, schon an einem viel früheren Punkt anzusetzen.
Der Automatismus „erst Förderschule, dann Werkstatt“ müsste aufgebrochen werden und die Inklusion von Anfang an gelten.
Würden wir damit bereits in der frühkindlichen Ausbildung beginnen und über die Berufsorientierung und Berufsbegleitung hinaus fortsetzen, wären die Beteiligten nicht nur besser aufgeklärt, sondern auch die bürokratischen Hürden längst nicht so hoch.
Auch Daniel kämpfte lange. Er lernte verschiedene Leute kennen, die ihn unterstützten, setzte sich aber auch selbst für die Rechte von Behinderten ein. Heute ist er zufrieden.
Nach einem Praktikum bei einer politischen Interessen- und Selbstvertretung von Menschen mit Behinderungen wurde er als Referent eingestellt und erhält dank einer Eingliederungshilfe aus dem Bundesteilhabegesetz ein richtiges Gehalt.
Natürlich hilft es, dass Daniels Vorgesetzte und Kollegen von seiner Behinderung wissen und aufgrund ihrer Tätigkeit sensibler mit dem Thema umgehen. Genauso gibt es ihm ein Gefühl der Sicherheit, dass er weiß, dass er zur Not wieder in eine Werkstatt zurückkehren kann.
Doch Daniels Plan ist, die Selbstständigkeit, die ihm sein Arbeitsleben ermöglicht, auf keinen Fall wieder aufzugeben. Daniel ist ein Beispiel, das zeigt, dass sich Engagement auszahlt und Hürden überwunden werden können.
Es wäre schön, wenn es mehr solcher Beispiele gäbe und wir uns nicht darauf ausruhen würden, dass Menschen mit Behinderung in den Werkstätten gut aufgehoben sind, sondern eine echte Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt anstreben würden.
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Thema: Arbeitsmarkt statt Werkstatt: Warum der Wechsel für Behinderte oft nicht klappt
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